Über den gesamten Lebenszyklus betrachtet, macht die Energie, die in Baustoffen steckt, einen grossen Teil des Gesamtenergieverbrauchs moderner Gebäude aus. Im Rahmen eines Nationalfondsprojekts wird ein Baustoff entwickelt, der den Verbrauch beim Bauen senkt.
Redet man von energieeffizienten Gebäuden, denkt man sofort an die Sparpotenziale, die beim Heizen ausgeschöpft werden können. Kaum jemand weiss, dass rund 70 Prozent des gesamten Energieverbrauchs eines Gebäudes beim Bau anfallen. Vor allem die Zement- und die Stahlproduktion fallen dabei ins Gewicht. Mit energiearmen Baustoffen kann der Energieverbrauch wesentlich reduziert werden.
Unter der Leitung von Guillaume Habert, Professor für Nachhaltiges Bauen an der ETH Zürich, sind zurzeit mehrere Forschungsgruppen der ETH Zürich (Proff. Burgert, Chatzi, Flatt und Frangi), der ETH Lausanne (Proff. Brühwiler und Scrivener) sowie der Empa (Prof. Lura) daran, entlang der Wertschöpfungskette eines Gebäudes – also von der Produktion der Baustoffe über den Bau bis zur Bewirtschaftung – neue, energieeffiziente Technologien zu entwickeln. Von Beginn an dabei sind Unternehmen und Organisationen wie EcoBau oder der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein SIA. Durch diese Kooperationen wird sichergestellt, dass der Transfer der Forschungsresultate in die Baupraxis rasch und umfassend gelingt. Das vierjährige Projekt wird im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Energiewende» (NFP 70) des Schweizerischen Nationalfonds realisiert.
Gegenüber herkömmlichem Beton beinhaltet der von der Forschungsgruppe entwickelte neue Baustoff 65 Prozent weniger Klinker. Damit wird ein Material ersetzt, dessen Produktion viel Energie verschlingt. Substituiert wird der Klinker durch Kalkstein, gebrannten Ölschiefer und ein kompatibles Fliessmittel. Der verbesserte Beton bildet die Grundlage für eine energieeffiziente Rahmenkonstruktion mit Materialien, die den Stahl ersetzen. Dabei stehen zugfeste Werkstoffe wie Holz, vorgespannte Karbonfaserpolymere und Kunstfasern im Vordergrund.
Eine weitere anspruchsvolle Fragestellung des Projekts fokussiert auf den Einsatz dieser innovativen Bauweisen bei Rahmenkonstruktionen. Die neue Technologie ist überall einsetzbar: Grosse Infrastrukturprojekte können ebenso davon profitieren wie der einzelne Bürger, die einzelne Bürgerin beim Bau eines Einfamilienhauses oder eine Gemeinde bei der Erstellung eines Schulgebäudes.
Die Forschungsresultate werden rasch an die Stakeholder, wie Implenia, LaFargeHolcim oder Sika, weitergeben. In regelmässigen Treffen mit den Unternehmen und beteiligten Organisationen werden die wichtigsten Fragestellungen thematisiert und Stolpersteine identifiziert. Letzten September wurde etwa die Haltbarkeit des Klebstoffs zwischen Holz und Beton intensiv diskutiert – ein Problem, das gelöst werden muss, um die Technologie in den Markt überführen zu können. Die Fortschritte im Projekt sind für die Umsetzung von Pilotprojekten von grosser Bedeutung. So wurden die neuen Baustoffe zum Beispiel bei der Renovation des Chillon-Viadukts bei Montreux eingesetzt. Sie sorgten einerseits für einen geringeren Energieverbrauch und machten anderseits den Bau eines neuen Viadukts überflüssig. Weitere Pilotprojekte wie eine Fussgängerbrücke im modularen Forschungs- und Innovationsgebäude der Empa und der Eawag oder Projekte des Start-ups Swiss Timber Solutions sind bereits in Planung.
Eine grosse Herausforderung für das Projekt ist die eher konservative Haltung der Bauindustrie. Sicherheit und Dauerbeanspruchung stehen immer im Vordergrund, sodass neue Technologien diese Aspekte umfassend aufnehmen und beantworten müssen. Guillaume Habert und seine Kollegen setzen auf Vertrauen und Information. Sie beziehen interessierte Unternehmen in ihre Arbeit aktiv mit ein und sind bei Pilotprojekten in jeder Phase dabei. Um die Resultate in den Markt überführen zu können, ist es notwendig, Entscheidungsträger in der Wirtschaft, aber auch auf Bundes-, Kantons- und vor allem auf Gemeindeebene zu erreichen. Hier hat das Forschungsprojekt Konkretes zu bieten: Mithilfe eines innovativen On-Site-Monitorings können Brücken oder andere infrastrukturelle Bauten kontinuierlich überprüft und Schwachstellen schnell und vor allem frühzeitig identifiziert werden. Dabei wird mit Sensoren der Zustand der Baustruktur überwacht, um Schäden oder Verschleisserscheinungen rasch zu erkennen. Besonders wichtig ist ein solches Monitoring bei neuen Baustoffen oder -techniken, deren Verhalten noch wenig dokumentiert ist. Eingesetzt wurde die neue Technologie zum Beispiel bei der Sanierung des Chillon-Viadukts in Montreux, dessen Tragfläche mit faserverstärktem Beton verbessert wurde.
Über den Erfolg des Projekts entscheiden auch Aus- und Weiterbildung: Einerseits muss der Einsatz der neuen Materialien professionell erfolgen, Nichtwissen führt zu längeren Bauzeiten und damit zu höheren Kosten. Anderseits gilt es, die breite Öffentlichkeit für die Tatsache zu sensibilisieren, dass der Bau eines Gebäudes energieintensiv ist. Will man den Energieeinsatz senken, ist die Verwendung von energiearmem Beton ein Muss. Gelingt es, all diese Faktoren bei der Überführung in den Markt zu berücksichtigen, steht der Implementation der neuen Baustoffe nichts mehr im Wege.
Schweizerischer Gemeindeverband, Postfach, Laupenstrasse 35, CH-3001 Bern, 031 380 70 00, verband(at)chgemeinden.ch
2014. Alle Rechte vorbehalten. Bitte lesen Sie die «Allgemeinen rechtlichen Hinweise, Datenschutz», bevor Sie diese Website weiter benützen.